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Das war eine Revolution – und keine Wende

30 Jahre Deutsche Einheit: Sieben Thesen von Linda Teuteberg

Potsdam, 03.10.2020

Die Landesvorsitzende der FDP Brandenburg Linda Teuteberg MdB schrieb für die WELT (Feiertagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

  1. Unrechtsstaats-Debatte ohne Schlussstrich

Noch immer verwahren sich einige dagegen, dass man die „DDR“ einen Unrechtsstaat nennt. Dabei geht es nur vorgeblich um eine wissenschaftliche Bewertung des Begriffes oder um die Lebensleistung von Menschen. Es geht um die Vereinnahmung von Menschen für den Staat DDR und das SED-Regime.

Da wird immer wieder eine kollektive Identität und Interessenlage aller „Ostdeutschen“ unterstellt, die es so nie gab und nicht gibt. Leistung und Anstand von Menschen gab es in der DDR trotz und nicht wegen des politischen Systems.

Die Menschen im Osten unseres Landes haben der SED niemals in freien Wahlen ein Mandat erteilt, sie zu regieren. Sooft auch immer anderes suggeriert werden mag, ist Widerspruch vonnöten. Erst recht, wenn dies wie zuletzt durch Ministerpräsident(inn)en ausgerechnet am 70. Jahrestag der DDR-Gründung geschieht.

 

  1. Revolution, nicht Wende

Das war eine Revolution, keine Wende. Auf diesen frühen Fall erfolgreichen politischen Framings sollten wir nicht hereinfallen. Egon Krenz meinte in seiner Antrittsrede, dass die SED mit der „Wende“ wieder die „ideologische und politische Offensive“ erlangen werde. Das Gegenteil war der Fall.

Dass dieser Begriff trotzdem so verbreitet ist, liegt wohl auch an seiner Kürze. Wir sollten ihn aus einem weiteren Grund nicht verwenden: Er suggeriert Neutralität und Passivität. Er vernachlässigt die Rolle jeder und jedes Einzelnen: den Mut, das Gewissen, die Verantwortungsbereitschaft, auf die es damals ankam, und auch heute ankommt.

 

  1. Stärke des Rechtsstaates nicht mit Schwäche verwechseln

Der Vorteil einer friedlichen Revolution besteht darin, dass keiner zu Tode kommt. Auch die Peiniger wurden befreit, erhielten Freiheit und Rechtsstaat. Manche von ihnen sprechen von Siegerjustiz.

Daran ist wahr, dass Unrechtshandlungen, die eine politische Macht begeht, immer erst nach deren Niedergang justiziabel werden. Aber unser freiheitlicher Rechtsstaat beschränkt sich selbst. Er hält sich an seine eigenen Regeln und bestraft nur, was auch zum Zeitpunkt der Tat strafbar war.

Diejenigen, die es betrifft, können froh sein, dass der Rechtsstaat sie so viel besser behandelt hat als sie ihre politischen Gegner in 40 Jahren. Für ihre Opfer ist das oft bitter. Doch wo Demut zu erwarten wäre, erwächst nicht selten Übermut, und eine geringe Anzahl strafrechtlicher Verurteilungen wird als Persilschein missdeutet.

Umso mehr ist weiterhin aufzuarbeiten, was Strafjustiz in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht leisten kann.

 

  1. Geschichtspolitik nicht den Rändern überlassen

In offenen Gesellschaften spielt sich der Streit über die Geschichte in einer vielfältigen Öffentlichkeit ab. Die Regierung tritt dabei als Akteur auf, ohne ein Monopol darauf zu haben.

Geschichtspolitik lässt sich nicht abschaffen, wohl aber durchschauen und liberal besetzen. Angesichts der Nachwirkungen fehlender Presse- und Kunstfreiheit in der Diktatur ist dies auch bitter nötig, um unser gemeinsames Gedächtnis nicht der Geschichtspolitik der Unterdrücker zu überlassen: Die Opposition hatte kein Staatstheater und keinen Staatsverlag.

 

  1. Treuhandwunde

Die Treuhandanstalt darf nicht immer wieder zur erinnerungspolitischen Bad Bank gemacht werden. Linke und AfD sind sich bei diesem Thema bemerkenswert einig. Dabei dürfen Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden: Nicht die Treuhand, sondern 40 Jahre Planwirtschaft haben die Wirtschaft in Ostdeutschland nachhaltig abgeschottet und geschädigt.

Der Golf musste nicht vor dem Trabi geschützt werden. Dort liegt auch die tiefere Ursache für das noch immer bestehende Lohngefälle. Die Forderung nach einem weiteren Untersuchungsausschuss ist ein rückwärtsgewandtes Ablenkungsmanöver.

Eine schnelle Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion war der Wunsch der Mehrheit in Ostdeutschland und wurde für viele Betriebe zur Stunde der Wahrheit. Das war die wohl kompakteste Privatisierung in der Wirtschaftsgeschichte. Dabei sind auch Fehler gemacht worden, deren Aufarbeitung aber längst begonnen hat.

 

  1. Mehrheit und Minderheit

Die innere Einheit ist auch eine Frage des Verhältnisses von Mehrheit und Minderheit. Dem kleineren Teil des Landes wird dabei oft etwas vermeintlich Exotisches und Defizitäres zugeschrieben, während der größere Teil als Maßstab fungiert.

Es ist bemerkenswert, dass gerade manche, die sich in anderen Zusammenhängen besonders progressiv wähnen, ihre eigenen Gewissheiten kaum hinterfragen.

Die Freiheit im Westen unseres Landes ist kein eigenes Verdienst. Dass die zweite deutsche Diktatur nur in einem Teil unseres Landes selbst erfahren wurde, ist ein quantitativer Befund. Ein qualitatives Argument gegen die Relevanz dieser Erfahrungen für den so dringend notwendigen gemeinsamen antitotalitären Konsens ergibt sich daraus gerade nicht.

Die real erfahrene Diktatur der SED lässt Gleichgültigkeit gegenüber linksextremistischen Gefahren für die Freiheit nicht zu.

 

  1. Ein neues ’68 und die Rolle der „letzten Ostdeutschen“

Gerade weil 1989 nicht das Ende der Geschichte war, brauchen wir im Hinblick auf die DDR so etwas wie ’68. Das erfordert auch die Fähigkeit, zu trauern und über Verletzungen und Tragiken zu sprechen, ohne dafür einen Sündenbock zu suchen.

Die schwierigen Jahre nach 1990 waren nicht Ergebnis der Einheit, sondern Folge der DDR. Meine Generation hatte das Glück, in die Freiheit der Bundesrepublik hineinzuwachsen und ihre Chancen zu nutzen. Statt alte Ressentiments zu bedienen und zu reproduzieren, sollten wir das ausstrahlen.

Mit Neugier, Offenheit und Sensibilität können wir viel zur inneren Einheit unseres Landes beitragen.

Die Autorin ist Mitglied des Bundestages und FDP-Landesvorsitzende in Brandenburg


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